Vom Produkt zur Servicedienstleistung
Wow, das mir das passiert ist! Beeindruckend wie die das hinbekommen haben – schneller als erwartet und dann noch so rücksichtsvoll. Das war einfach, bequem für uns …
» die können wiederkommen!
» da geh ich wieder hin!
» das muss ich heute Abend Frank erzählen!
Wann haben Sie das zuletzt bei Freunden, im Büro, oder zu Haus gesagt? Und was war die Ursache? Ein neues Geschirr, das Sie gekauft haben, die Küche, ein Auto, ein Blumenstrauß oder der neue PC? Haben Sie ein Produkt bewundert oder eine Leistung?
Im Wording sind wir schon weiter, sprechen über die gute oder auch nicht so gute Leistung. Im Doing fokussieren wir uns noch immer auf das Produkt. Es ist eben handfester, vermeintlich wertvoller, bringt hohen Umsatz (leider mit abnehmender Marge).
Value in Use
Doch die Welt dreht sich – die Lieferanten und Dienstleister verstehen zunehmend, dass die Teilhabe am Wertschöpfungsprozess des Kunden nachhaltiger ist, zu einem wiederkehrenden Geschäft mit höheren Margen führt.
Abb. 1: Verhältnis des Produktes zur Servicedienstleistung im Lebenszyklus
In der Konsequenz ändert sich das Geschäftsmodell: Nicht das Produkt – der Analyse oder die Laboreinrichtung – stehen im Fokus, sondern deren Nutzung. „Value in Use“ ist die Maxime! Damit ist dann nicht mehr die verlängerte Garantie oder die Einarbeitung gemeint. Jetzt dient das Produkt als Plattform, um mit verschiedenen bezahlten (!) Leistungen Mehrwert im Prozess des Kunden zu schaffen. Der Sprung nach oben. Wie schafft man den Sprung vom Produkt zur Servicedienstleistung, ohne sich dabei den Knöchel zu verstauchen? Es gilt, das eigene Unternehmensmodell neu zu definieren und um eine bisher ungewohnte Komponente zu ergänzen.
Wo stehen Sie heute mit Ihrem Unternehmen? Die Abbildung 2 zeigt Stufen auf dem Weg vom Produkthersteller mit Reparatur-Dienstleistung – also dem ersten Schritt eines Produkt-Support – zur Unterstützung des Kundengeschäftes.
Denken Sie an die vielen kleinen und großen Schritte, die erforderlich sind, um Service nicht mehr als Ausputzer und reine Reparaturleistung zu verstehen, sondern sich mit Topleistungen im Markt vom Wettbewerber abzusetzen. Haben Sie schon eine eigene, profitable Serviceeinheit aufgebaut, mit eigener Gewinn-und-Verlustrechnung und entsprechender Business-Verantwortung? Bieten Sie schon produktunabhängige zusätzliche Servicedienstleistung an – zumindest im Umfeld der Produkte?
Und jetzt der Schritt, das Produkt nicht mehr zu verkaufen, sondern vom Kunden nutzen zu lassen, sich in den Kundenprozess zu integrieren. Die Bezahlung erfolgt dann z.B. auf Stundenbasis, so wie es Rolls Royce mit den Flugturbinen macht (power by the hour) oder bei Daimler der Smart auf Minutenbasis bei „Car-2Go“ angemietet wird (car sharing). Die Abbildung 2 macht deutlich, was eine Organisation zu leisten hat, um oben rechts anzukommen. Neue Aufgaben erfordern neues Wissen, neue Skills und eine geänderte Denk- und Handlungsweise im Service – nein, nicht nur im Service: Der CEO und sein ganzes Team sind mit dem Service zusammen verantwortlich für die Neuausrichtung. Dazu gehört auch, Marketing, Vertrieb und Forschung & Entwicklung aktiv in den Transformationsprozess mit einzubinden.
Abb. 2: Vom Produkt zur Servicedienstleistung – Stufen zum Ziel
Abb. 3: Kängurusprung
Einstellungsänderung – Mindset-Change
Die Einstellungsänderung ist der Kern. Es gilt eine Service-Kultur zu fordern, die Leitlinie ist für das neue Denken und Handeln im Kundenkontakt und auch für das Miteinander im Unternehmen.
Ein Kernelement bezeichnen wir dazu bei der ISS als „Kängurusprung“. Grund ist: Kängurus springen weiter – und genau darum geht es! Weiter als üblich, über Grenzen hinaus, sich Gedanken zu machen über das Business des Kunden, wie können wir ihn unterstutzen, die Beziehung zu seinen Kunden zu verbessern? Was müssen wir leisten, um für ihn ein anerkannter, strategischer Gesprächspartner in seiner Geschäftsentwicklung zu werden?
Abbildung 3 zeigt deutlich: Mit bisheriger Denke und bestehenden Angeboten werden wir künftig nicht mehr beim Kunden punkten. Er braucht Partner, die ihn in seinem Geschäft aktiv unterstutzen – und das ist mehr, als gelieferte Geräte und Anlagen instand zu setzen.
Dr. Holger Schmidt, Focus-Chefkorrespondent zum Thema digitale Wirtschaft, hat im Juni 2015 auf dem TrendWorkshop Service der ISS aufgezeigt, dass die Digitalisierung künftig noch starker ein wesentlicher Treiber des Änderungsprozesses vom Produkt zur Servicedienstleistung ist. Der Wettbewerb über Funktionen und Servicedienstleistungen wird an Bedeutung gewinnen. Der Produktpreis ruckt in den Hintergrund.
An dieser Stelle greifen auch die Tech-Firmen und neuen Start-Ups bestehende Märkte an. Für den Kunden wird es bequemer, und er kann Zeit und meist dann auch noch Geld sparen. Hintergrund sind Software und Daten, die einen besseren Service möglich machen. Denken Sie nur an die dynamische Navigation, die Sie um Staus herumfuhrt oder das automatische Nachfüllen Ihres Kühlschrankes (… wie, das machen Sie noch nicht?).
Und noch etwas ist Holger Schmidt wichtig: Industrie 4.0 schafft zwar eine Produktivitätssteigerung in der Fabrik – aber erst mit einem Kundenfokus wird es auch eine Verbesserung der Kundenbeziehung geben. Und dort, in der spurbaren Serviceleistung für den Kunden, wird der Wettbewerb entschieden. Was nutzt es, wenn man günstiger produziert und der Kunde bei anderen kauft, weil es bequemer und schneller, zeitoptimaler ist?
Die Erwartungen der Kunden sind vielfältig
Vor diesem Hintergrund wandelt sich die Erwartungshaltung der Kunden – wer private Wünsche schnell und bequem erfüllt bekommt (Zalando, Amazon) und Informationen leicht erhält (Google, Yahoo & Co.) erwartet dies auch im Geschäftsbereich!
Die Erwartung des Kunden hat heutzutage drei Komponenten:
1. Das Ergebnis muss stimmen: Was ich kaufe muss der Erwartung entsprechen, ob Produkt oder Leistung. Es muss reibungslos funktionieren. Für eine nachhaltige Kundenbindung sind aber auch die zwei folgenden Komponenten wichtig.
2. Das Erlebnis beim Einkauf, der Reparatur oder Beratung: Es muss Freude machen beim Kellner zu bestellen, den Service-Techniker im Haus zu haben oder sich an den Auto-, PC- und Schuhkauf zu erinnern.
3. Der Effekt für das Gemeinwohl ist die dritte Komponente.
Wer bekannt dafür ist, dass er sich sozial engagiert, erhält als Dienstleister und Lieferant Pluspunkte. Wenn es auch nur emotionale Punkte sind: Es gehört dazu, sich einzubringen, gemeinnützige Einrichtungen oder spezielle Ideen zu unterstutzen. Beim Kunden erzeugt dies ein gutes Gefühl… ja, das ist ein guter Partner für uns – und das stimmt dann ja auch.
Diese Komponenten sollten im Veränderungsprozess vom Produkt zur Servicedienstleistung gegenwärtig sein. Fragen Sie sich immer, womit überrasche und begeistere ich meine Kunden?
Was also ist zu tun?
Vorab sei gesagt: Die Aufgabe, der zu realisierende Transformationsprozess, ist in großen wie in kleineren Unternehmen der gleiche. Die Ausführenden sind unterschiedlich: Bei kleineren Unternehmen übernehmen häufig einzelne Personen oder Partner ganze Prozess-Einheiten (z.B. der Distributor in einem Land). Bei größeren Unternehmen sind es Teams oder Partner, denen spezielle Aufgaben zugeordnet werden:
» Der CEO und sein Supportteam, die Personal- und Finanzabteilung und andere mehr – die Wegbereiter für die neue Denk- und Handlungsweise im Markt – koordinieren den Änderungsprozess und stellen sicher, dass auch intern im Interesse des Miteinander mehr Füreinander gedacht wird.
» Das Produkt- und Leistungs(!)- Management erarbeitet das künftige Angebot gemeinsam. Getreu dem Marketing-Motto: Vom Kunden her denken – für den Kunden handeln!
» Die Forschung und Entwicklung integrieren Servicedienstleistungen und Digitalisierbarkeit in die Entwicklungsarbeit.
» Der Vertrieb forciert den Verkauf von Leistungen und Lösungen. Dazu bedarf es anderer Prozesse und auch eines anderen Wissens und Vorgehens. Neue Wege müssen im Unternehmen entwickelt und umgesetzt werden.
» Der Service organisiert sich neu, ergänzt betriebswirtschaftliches Wissen, fördert die Kommunikationsfähigkeit, verändert Prozesse und ermöglicht damit u.a. eine professionelle
internationale Dienstleistungserbringung in Zusammenarbeit mit lokalen Vertriebseinheiten.
Der Start ist eine Analyse, in die Kunden und abteilungsübergreifend Mitarbeiter und Führungskräfte sowie Partner eingebunden sind. Schließlich sollen diese Personen später auch der neuen Service-Kultur Leben einhauchen. Wer das Thema vor seinem Wettbewerber angeht, wird Erfahrungen sammeln, die nachher den Marktvorsprung ausmachen. Bereits auf den ersten Schritten zu einer kunden- und serviceorientierten Arbeitsweise im Unternehmen sind schnelle Verbesserungen, quick wins, möglich und motivieren zu mehr. Silo-Denken im Unternehmen wird abgebaut und die Organisation richtet sich an Markt- und Kundenbedarfen aus!
Springen Sie nicht zu weit, doch zumindest eine Stufe weiter.
Dann können Kunden und Ihre Organisation mitziehen und der Knöchel bleibt heil für den nächsten Sprung! Es erwarten Sie interessante Zeiten. Nichts ist so spannend wie innovative Servicedienstleistungen zu entwickeln, mit Kunden einen gemeinsamen kreativen Prozess zu starten, sich stetig weiterzuentwickeln und Service-Excellence zu praktizieren!
Viel Erfolg dabei wünscht Ihnen
Michael René Weber
ISS Business School
Dieser Artikel erschien erstmals im SPECTARIS Jahrbuch 2015/16. Sie können den Originalartikel hier als PDF-Dokument herunterladen.