Service – das Konzept für die Zukunft
Interview mit Patrick Soler, Manager Customer Services Zentraleuropa, Linde Material Handling GmbH
ISS: Herr Soler, heute steuern die Service-Techniker der Linde Material GmbH Gabelstapler per Remote-Funktion über das iPhone oder rufen Wartungsverträge per mobiler Datenanbindung beim Kunden direkt vor Ort ab, sogar erste Tests mit der Datenbrille laufen bereits. Industrie 4.0 ist Ihre Gegenwart. Wie war es vor ziemlich genau 20 Jahren, als Sie sich entschieden, das Thema Service anzupacken und den Lehrgang des Certified Service Managers der ISS International Business School of Service Management belegten?
Patrick Soler: „In den 90er Jahren haben wir noch fleißig gewartet und repariert. Diese Zeiten gehören natürlich der Vergangenheit an. Danach kam die Phase der Wartungs- und Full-Service-Verträge. Der Beratungsaspekt wurde zunehmend wichtiger. Später gab es die Welle Fahrzeugsicherheit. Wir haben unsere Kunden sehr intensiv in Sachen Fahrzeugprüfung beraten und unterstützt. In den letzten Jahren haben wir uns auf die Zielgerade zur Industrie 4.0 begeben, von Remote-Reparaturen, Online-Findung von Gabelstaplern bis zur automatischen Zielmeldung. Heute können wir die kompletten Daten der Stapler abrufen und eventuell auch sehr bald an Kunden liefern. Das ist die Evolution auf der technischen Seite.“
Jede Medaille hat zwei Seiten. Welche ist die andere?
„Diese Evolution bedingt eine starke Entwicklung aufseiten der Servicetechniker. Sie müssen in der Lage sein, den Nutzen der Technologie zu erkennen und sie einzusetzen, beispielsweise mit elektronischen Berichten, beim Abrufen von Daten und vor allem bei der Interpretation der Daten – eben die gesamte technische Seite, um eine Reparatur effizient durchzuführen. Wir haben zudem die Situation, dass wir mithilfe der digitalen Technologien über Massen von Informationen verfügen. Diese Big Data müssen wir interpretieren. Heute gelingt uns das vielleicht bei zehn Prozent der Daten korrekt. Unsere Aufgabe ist es jetzt, den Rest der Daten in eine Form zu bringen, damit der Service vorankommt. Das fordert aber ein starkes Ausbildungssystem im Hintergrund.“
Die Technik allein ist es aber nicht ...
„Die Servicetechniker sind diejenigen, die am häufigsten mit den Kunden Kontakt haben. Sie müssen daher technisch versiert sein, aber auch hochqualifiziert in Sachen Kommunikation. Diesem Punkt haben wir in den vergangenen Jahren besondere Aufmerksamkeit gewidmet: Der Servicetechniker muss mit dem Kunden kommunizieren können, ihm erklären, wo das Problem liegt und wo er unterstützen kann. Die Linde-Akademie ist das Medium für die Entwicklung der Serviceorganisation in dieser Richtung.“
Ihr Unternehmen arbeitet in den einzelnen Ländern mit eigenen Filialen oder mit Händlern. Sie haben über die Jahre ein großes Servicenetzwerk aufgebaut.
„Meine Position umfasst die DACH-Region und Benelux. Wir betreuen vom Werk aus 28 Vertretungen mit 3500 Mitarbeitern, die im Service tätig sind, davon 2500 Servicetechniker. Das repräsentiert ein Potenzial von circa 250.000 Fahrzeugen. Diese Betreuung beinhaltet die technische und die organisatorische Seite. Wir bringen die Händler auf ein gleiches Niveau, sodass sie beim Kunden nicht nur Reparaturen und Wartungen durchführen, sondern auch aktiv Serviceleistungen verkaufen, den Kunden beraten und in seine logistischen Abläufe unterstützen. Diese Dienstleistungen sind natürlich Reparaturen, aber auch gesetzliche Kontrollen wie UVV-Prüfungen, Fahrerschulungen, Einsatzberatung und Nutzungsoptimierungen. Darüber hinaus verkaufen wir Zubehör für den Fahrer, von der Arbeitskleidung über die Drehlampe bis zum Bluespot – alles, was man im und um den Stapler braucht.“
Was zeichnet Ihre Händlerschaft aus? Und worauf legen Sie in der Zusammenarbeit besonderen Wert?
„Unsere Händler sind eigenständige Partner, die ihre Kunden direkt bearbeiten. Der kleinste hat etwa 30 Mitarbeiter, der größte ungefähr 500. Das sind Mittelständler, die allesamt über eine immense Kreativität verfügen. Überhaupt – das Thema Kreativität habe ich über viele Jahre im Händlernetz gefördert. Wir bearbeiten es regelmäßig bei Tagungen und Schulungen, damit diese sehr guten Leute noch weiter über den Tellerrand ihres eigenen Business schauen. Das macht sich erst nach vier, fünf oder sechs Jahren bezahlt. Heute denken die Leute anders als früher und nicht nur an ihre tägliche Arbeit. Sie planen voraus, schauen in die anderen Industrien, spinnen auch ein bisschen und das ist total richtig. Sie fragen sich: Wie wird unser Service in vier oder fünf Jahren aussehen? Und erarbeiten daraufhin Konzepte für die Zukunft. Das muss natürlich kanalisiert werden. Deshalb kommunizieren wir sehr viel mit unseren Händlern. Es vergeht eigentlich keine Woche, in der wir nicht ein Meeting mit meinen Händlern haben, und dies auf alle Ebenen des Services. Das fördert das gegenseitige Verständnis enorm.“
Gibt es rückblickend in der Zusammenarbeit mit den Händlern ein Highlight, etwas, auf das Sie besonders stolz sind?
„Einer der größten Erfolge aus meiner Sicht ist das Projekt ‚Service-Berater‘. 2009 sind wir mit vier Serviceberatern bei drei Händlern gestartet. Ich hatte das Projekt bei Händler- und Service-Tagungen vorgestellt, bin zuerst mal auf Skepsis gestoßen. Die Entwicklung hatte ich zu dieser Zeit schon geplant. Nach meiner Einschätzung brauchten wir für eine richtige Marktabdeckung 90 Serviceberater. Bis 2015 wollte ich 70 Berater aufbauen. Vor Kurzem habe ich noch einmal die 2009er-Folie herausgeholt, da hatte ich gerade meine Jahresabfrage gemacht und 77 Berater gezählt. Für mich war es schon ein Erfolg, dass die Händler an das Projekt geglaubt, es umgesetzt und sogar weiterentwickelt haben. Diese Art von Ideen tauschen wir regelmäßig aus.“
Welche Impulse hat Ihnen die Teilnahme am Lehrgang des Certified Service Managers der ISS gegeben?
„Ich habe den Lehrgang ja schon vor 20 Jahren belegt. Zu dieser Zeit war der Service-Gedanke in der Industrie noch nicht so verankert wie heute. Die Themen, die im Kurs angesprochen wurden, waren sehr fortgeschritten für unser Business. Das gab mir den Anstoß, Dinge anders zu machen. Meine Unterlagen sowie Kontakte zu den Teilnehmern von damals habe ich heute noch. Mit ihnen habe ich angefangen, das Netzwerk weiterzuentwickeln und dabei gelernt, dass Service, egal ob in der IT, im Hotelgewerbe oder in der Möbelbranche, viele Gemeinsamkeiten hat. Es ist wichtig, hinzuschauen wie es die anderen machen, um dann vielleicht ein kleines Stück davon für sich zu adaptieren. Ich habe auch gelernt, dass man Dienstleistungen aktiv verkaufen muss. Damals hatte der Service in den Unternehmen noch nicht den Stellenwert, den er heute besitzt. Es kostete deshalb viel Überzeugungsarbeit, meine Ideen durchzusetzen. Da gehen manchmal einige Jahre ins Land.“
Sie haben Händler auch auf internationaler Ebene am Lehrgang der ISS teilnehmen lassen, beispielsweise aus Russland und Schweden. Ist der Service-Spirit übergesprungen?
„Das war das Erste, was ich nach meinem Seminar gemacht habe. Ich dachte mir, meine Service-Leiter müssen auch diese Gedanken bekommen. Es waren rund 30 Teilnehmer, die an Lehrgängen der ISS teilnahmen. Der schwedische Service-Leiter, der bei der ISS ausgebildet wurde, ist zurzeit unser Geschäftsführer in Schweden. Das freut mich ganz besonders.“
Sie sind Referent beim diesjährigen ISS TrendWorkshop Service: Was wird Ihre Botschaft an die Teilnehmer sein?
„Den Blick in die Zukunft richten, Kreativität zeigen, hartnäckig sein und Geduld haben – das sind meine vier Kernbotschaften. Die Entwicklung einer Serviceorganisation ist ein lange Weg, der nie endet, man muss ständig sein Tun auf den Prüfstand stellen und an die Marktbedürfnisse anpassen, also eine ‚Never Ending Story‘. Das ist mein Spaß an der Arbeit."
Herr Soler, vielen Dank für das Gespräch.