Gastinterview - „Eine nicht digital aufgeladene Marke hat‘s am Markt schwer“

Was hat Service-Marketing mit Markenbildung zu tun? Welche Unterschiede im Marketing ergeben sich je nach Portfolio mit produktbegleitenden Dienstleistungen oder reinen Services? SERVICE TODAY Redakteur Michael Braun sprach ausführlich mit dem Markenexperten Prof. Dr. Rembert Horstmann und dem Marketing- und Service- Experten Michael René Weber über die Besonderheiten von Service-Marketing in einer digitalisierten Gesellschaft. Im Gespräch analysieren die Experten die aktuellen Veränderungen am Markt und empfehlen Marketing-Strategien für Dienstleister.

Michael Braun: Welche Bedeutung hat aus Ihrer Sicht die Marke, wenn es um die Entwicklung von Dienstleistungen und ein professionelles Service-Marketing geht?

Prof. Dr. Rembert Horstmann: Ganz gleich, ob es sich um eine produktbegleitende oder um eine reine Dienstleistung handelt – bei beiden ist die Marke entscheidend für den  Unternehmenserfolg. Bei produktbegleitenden Dienstleistungen ist darüber hinaus zu berücksichtigen, wofür die Kernmarke steht: Ist die Kernmarke so bekannt, dass sich ein Transfer auf den Service lohnt oder selbstredend ist? Bei den reinen Dienstleistungen ist die Marke der Einstieg, der Vertrauensbonus, damit der Dienstleister eine Chance bekommt. Digitalisierung ist dabei das A und O, um zu überleben. Die Information über die Marke und die Dienstleistungen erfolgt heute überwiegend online. Ohne digitales Konzept geht da nichts mehr.

Michael René Weber: … und das gilt für die Geschäftsanbahnung wie die Ausführung, durchgehend.

Prof. Dr. Rembert Horstmann: Richtig, der Service kann gut sein, vor Ort kann alles funktionieren, man kann auch perfekt arbeiten – aber es muss heute alles digital ablaufen. Gefordert sind digitale Prozesse mit Schnittstellen zum Kunden. Letztendlich erwartet der Kunde von uns, dass wir die Prozesse fehlerfrei digital abbilden und ihm neue Servicemodelle anbieten. Diese Kompetenz muss die Marke online transportieren. Dabei ist ein wesentliches Attribut für die Marke die eigene digitale Kompetenz. Dieser Aspekt ist umso wichtiger, wenn reine Dienstleistungen im Portfolio sind, und die Kunden sozusagen nichts anfassen können.

Michael René Weber: Digitalisierung im Umfeld von Marke und Serviceprodukt zu betrachten ist spannend. Nicht nur Produkte verschwinden, gerade auch bei Dienstleistungen wird Bestehendes zerstört, Digitalisierung kann ja auch eine stark disruptive Wirkung haben..

Prof. Dr. Rembert Horstmann: Das ist richtig. Ein Logistiker beispielsweise ist einer Vielzahl von disruptiven Situationen ausgesetzt wie zum Beispiel dem 3D-Druck. Kunden fragen heute schon an, ob die C-Teile-Versorgung durch 3D-Drucker abgedeckt werden kann – und gefragt wird auch der Logistiker.

Michael René Weber: Damit geht der Logistik dann ihr ureigenes Geschäft – das Transportgeschäft – verloren…

Prof. Dr. Rembert Horstmann: Sicher werden Logistiker Geschäft verlieren, aber sie verfügen über andere Kompetenzen, weit über das reine Logistikgeschäft hinaus. Mit dem 3D-Druck entwickeln Logistiker die Kompetenz eines Auftragsfertigers. Sie bleiben zwar weiterhin der Logistiker und müssen Ware transportieren, aber aus meiner Sicht ist der Kern der Digitalisierung, dass andere Geschäftsmodelle entstehen und dass die Menschen andere Aufgaben bekommen.

Michael Braun: Dann sind Sie als Logistiker vielleicht gar nicht traurig, dass die Transportleistung wegfällt, da diese ja im Allgemeinen nicht so margenträchtig ist...

Prof. Dr. Rembert Horstmann: ...das kann man prinzipiell so sehen, aber Transport bildet vielfach ein Einstiegsgeschäft. Denken Sie an das Thema Vertrauen und jetzt sind wir wieder beim Thema Marke: Würden Sie einer Servicemarke ohne vorherige Erfahrung Ihr komplettes Logistikgeschäft übergeben? Nein, Sie werden sie erst einmal testen, und zwar in einem Business, in dem man wenig falsch machen kann. Das heißt, sie überlassen dem Logistiker erst einmal den Transport, damit er sich stufenweise profilieren kann. Für Dienstleistungsmarken ist das eine ganz elementare Erkenntnis: Sie müssen sich profilieren und wachsen mit den Aufgaben und der Zeit. Je länger sie für einen Kunden gut arbeiten, desto eher werden sie weitere Aufgaben bekommen, die Vertrauensbasis ausbauen – immer unter dem Blickwinkel von kurzfristigen Verträgen natürlich.

Michael René Weber: So funktioniert es ja auch im Netz. Bewertet werden Aktualität und Vernetzung, Links. Die digitalen Medien dienen privat wie im B2B dem Vertrauensaufbau – und das praktizieren einige schon ganz gut. Hier ist neben dem Service-Produktmanagement vor allem das Service-Marketing gefordert, das die digitale Botschaft für den Kunden gestaltet und aktuell hält. Noch wichtiger sind aber die Inhalte, für die das Service- Produktmanagement verantwortlich zeichnet. Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein. Gerade im B2B muss der Kunde einen Mehrwert erzielen.

Michael Braun: Also macht die Digitalisierung nicht nur organisational Sinn, sondern der Kunde fordert sie auch ein?

Michael René Weber: Ja, es muss schneller, bequemer, preiswerter gehen. Verfügbarkeit steht häufig über allem. Denken Sie an digitale Angebote wie ‘Remote‘, ‘preventiv- oder predictive-Lösungen‘, den Aufbau von Plattformen, Augmented Reality zur Unterstützung an der Maschine vor Ort oder das 1000-Seiten-Handbuch, das sich im Cockpit auf dem iPad leicht durchscrollen lässt. Den 3D-Drucker hatten wir schon genannt. Da brauchen Sie schon ein leistungsfähiges Service-Produktmanagement.

Prof. Dr. Rembert Horstmann: Intern muss man die Digitalisierungskompetenz haben, um Prozesse effektiv und effizient abzubilden und dem Kunden das bestmögliche Angebot machen zu können. Das ist für Dienstleister eine Existenzfrage. Die Kunden erwarten einen Mehrwert und Komfort. Meine Empfehlung ist, im Servicebereich auf eine Single-Branding-Strategie zu setzen. Man sollte sich nicht in Untermarken verlieren, digitale Unterlösungen für digitale Unterprodukte suchen – das bringt nichts. Wer vorne dabei sein möchte, muss alles unter einem
Markendach konzentrieren, die Marke sozusagen digital aufladen. Für den Kunden ist die Marke dann griffiger, da er das Ganze mehr im Blick hat und sich nicht in Firmenverästelungen verirrt. Transparenz schafft Vertrauen zu einer Marke.

Michael René Weber: Das bedeutet für Unternehmen, dass sich Services und Produkte gegenseitig stärken müssen. Besonders Services müssen im Netz leicht zugänglich und verständlich, bequem und schnell zu nutzen sein. Wenn Lösungskompetenz der Serviceorganisation und Internet-Usability an der Schnittstelle stimmen, dann wird Kundenloyalität erhöht – das fördert dann das Produktgeschäft ebenso wie die Dienstleistungen. Die eigene Service-Marke ist da heutzutage meist der falsche Weg.

Prof. Dr. Rembert Horstmann: Richtig, denn eine neue Marke müsste erst einmal aufgebaut werden, müsste digitale Komponenten haben – und dafür müssen Sie richtig investieren. Im Prinzip spricht an dieser Stelle viel mehr für eine Markendehnung. Sie können die Wirkung einer starken Marke auf neue Unternehmensleistungen übertragen. Eine Markendehnung hängt allerdings davon ab, wie bekannt die Hauptleistung, und wie diese positioniert ist.

Michael Braun: Wenn Sie Service an dieser Stelle einmal weiterdenken in Richtung neuer Medien: Es gibt viele neue Marketing-Kanäle, die Unternehmen nutzen können, und auch hier spielt Digitalisierung eine wichtige Rolle – wie schätzen Sie den Einfluss ein, gerade mit Blick auf verschiedene Dienstleistungen?

Prof. Dr. Rembert Horstmann: Dass die Kanäle zunehmend digitaler werden, das merkt man jeden Tag, überall. Bei dem Thema Markenpositionierung ist es so: Früher gab es die klassischen Kanäle wie Zeitung, Fernsehen oder das Internet als reines Informationsmedium – heute haben wir mit den sozialen Medien ganz andere Möglichkeiten. Sie können die Marke durch geschicktes Suchmaschinenmarketing positionieren, Sie können die sozialen Medien nutzen, um Content zu generieren, zu verbreiten und mit dem Kunden in den Dialog zu treten. Sie haben die Möglichkeit, sehr kostengünstig die Marke oder den Markeninhalt direkt beim Kunden zu positionieren. Die virale Verbreitung ist für die Marke eine Chance für mehr Internationalität und für den Kontakt zu den Digital Natives. Für die Service-Organisation heißt dies, dass sie Mitarbeiter benötigt, die sich speziell mit den viralen Themen auseinandersetzen. Mithilfe der sozialen Medien kann sie das Service-Marketing ganz anders ausrichten – punktgenau auf eine bestimmte Zielgruppe. Sie kann im Dialog Kundenbedürfnisse sehr schnell gezielt abfragen. Aus meiner Sicht ist das ein Weg, enorme Vertriebskapazitäten zu heben – auch für den Service.

Michael René Weber: Durch digitale Medien sind Kunden immer besser informiert. Denken Sie an Konfiguratoren, die heute alle Auto-Marken im Internet bieten. Und das Netz wird immer besser, Vergleichsplattformen sind das neue Qualitätssiegel für Serviceleistungen von Hotels und Reparaturleistungen für Autos, Handwerker. Das wird auch den B2B-Bereich weiter durchdringen. Nur im B2B glauben viele noch, der digitale Kelch geht an ihnen vorüber, zumindest auf der Seite der Vermarktung von Leistungen. Das ist ein Irrtum! Wir müssen lernen, die B2B-Leistungen besser sichtbar zu machen, das ist der Vertriebshebel. Hier sind Service-Produktmanagement und Service-Marketing gemeinsam gefordert.

Prof. Dr. Rembert Horstmann: Früher war der Vertrieb das starke Element, das Service verkauft hat, heute wird der Service-Verkauf getrieben durch Marketing. Wir müssen im Service- Marketing Tools entwickeln, mit denen wir Kunden die Dienstleistungen visualisieren und erlebbar machen. Da sind heute vor allem digitale Kanäle gefragt. Ich glaube, dass die sozialen Medien dafür sorgen werden, dass man den Service noch stärker und besser verkaufen kann. Warum? Weil bislang sehr stark auch Techniker gefordert waren, die vor Ort beim Kunden
als Markenbotschafter entsprechend wahrgenommen wurden. Die Techniker sind aber oft nicht so vertriebsaffin. Jetzt übernehmen quasi digitale Verkäufer den Vertrieb des Service. Da kommt noch einmal ein richtiger Push auf Dienstleister zu. Allerdings sollte man nicht verkennen, dass in sozialen Medien die Kunden über ihre Serviceerlebnisse schreiben, über gute wie schlechte.

Michael Braun: Bietet die Digitalisierung denn aus Ihrer Sicht mehr Möglichkeiten, Dienstleistungen zu entwickeln und anzubieten?

Prof. Dr. Rembert Horstmann: Eine gute und weitsichtige Digitalisierungsstrategie führt dazu, dass man sich langfristig am Markt etabliert. Damit bringen Sie diejenigen in Bedrängnis,
die zwar eine hervorragende Produktpositionierung bieten, aber den Service nicht entsprechend digital ausgearbeitet haben.

Michael René Weber: Gute Webseiten bieten Informationen, eine Plattform im Umfeld der Kernkompetenz des Anbieters. Sie schaffen so Mehrwert für Interessierte und Kunden. Da wird es möglich, andere Leistungen mit zu platzieren, zu verkaufen. Das ist Sinn von Plattformen, die dann an den Verkaufserlösen partizipieren. So wird im Car-Sharing vor dem Losfahren auf dem Screen eine Vollkasko angeboten – im Winter pro km, also nach dem Pay-Per-Use-Modell. Das sind Wertschöpfungsmodelle, die auch Industrieplattformen nutzen werden – Industrie 4.0 macht’s möglich.

Michael Braun: Wenn man an Amazon denkt – auch hier findet ja eine Markendehnung über verschiedene Dienstleistungsbereiche statt. Sehr deutlich merkt man das aktuell im
Bereich der Logistikdienstleistungen: Amazon denkt natürlich digital und hat einen Mehrwert im Angebot, den andere noch gar nicht sehen. Ein Beispiel: Amazon plant, den Kunden Artikel zu schicken, von denen Amazon glaubt, dass der Kunde sie wahrscheinlich benötigen wird. Da ist Amazon dem Markt einen digitalen Schritt voraus.

Michael René Weber: Richtig, und es gewinnt im Markt derjenige, der den direkten Kundenkontakt schafft und ihn mit einer Marke belegt, die glaubhaft ist für das, was er anbietet.

Michael Braun: Es geht aber vor allem auch darum, wer den Kunden wirklich versteht. Und wer schafft Mehrwerte, in dem Fall über Transportleistung hinaus?

Prof. Dr. Rembert Horstmann: Die Kunden wollen nicht unbedingt Same-Day-Delivery in Anspruch nehmen – sie wollen nur wissen, wann ihre Bestellung ankommt oder sich bestimmte
Zeitfenster auswählen. Und da besteht eine Chance, die über digitale Wege genutzt werden kann. Amazon ist eine so starke Marke, dass man ihr zutraut, auch andere Leistungen zu erbringen – Service zum Beispiel. Die digitalen Mehrwerte werden letztendlich die Marke und die Kundenbindung stärken. Derjenige, der es schafft, die Kundenbedürfnisse zu erkennen und zu befriedigen, wird sich am Ende durchsetzen.

Dieser Artikel erschien erstmals in der SERVICETODAY 4/2016. Sie können den Originalartikel hier als PDF-Dokument herunterladen.